Schreiben und Digitalisierung

Schreiben, Tippen, Wischen - und was kommt dann?

Durch die Einführung digitaler Reproduktionsmöglichkeiten hat sich unser Schreibverhalten in den vergangenen vier Jahrzehnten stark verändert. Unsere schriftbasierte Kultur hat sich zunehmend zu einer Medienkultur entwickelt, in der das Verfassen von Texten durch technische Erweiterungen erheblich vereinfacht wurde: Beim Schreiben am Computer können wir Text- und Grafikelemente beliebig miteinander kombinieren, ganze Textteile verschieben und die Inhalte mit anderen schnell und zeitnah austauschen. Kommunikation wird teilweise wieder auf Symbole reduziert und erinnert dabei an die Zeit vor der Schriftkultur.1

Die Menschen haben nicht immer geschrieben und erst mit dem Zeitalter der typografischen Kultur (der Gutenberg-Galaxis2) und der damit verbundenen Vervielfältigung von Texten wurde die Schrift für viele Menschen zugänglich und erlernbar. Das Erlernen der Schrift ist allerdings nach wie vor ein schwieriger Prozess und die Handschrift ist ein schulisches Handwerkszeug, das vielen nicht mehr selbstverständlich zur Verfügung steht.3 Wen wundert es also, wenn wir uns diesen Prozess vereinfachen und lieber tippen als mit der Hand zu schreiben? Gerade für Menschen, denen das Schreiben von Hand sehr schwerfällt, kann das Schreiben an der Tastatur von Vorteil sein. Wenn man sich zu sehr auf den Akt des Schreibens konzentrieren muss, dann hat das Arbeitsgedächtnis keinen Raum mehr für Inhalte. Insbesondere für Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche kann das Tippen am Computer enorm entlastend sein und sich positiv auf deren Schreibleistung auswirken.

Auch beim Protokollieren von Veranstaltungsinhalten ist das Tippen am Computer dem Schreiben von Hand – zumindest was die Schreibgeschwindigkeit anbelangt – überlegen. Aber wenn es um die Aneignung von Wissen geht, sollten nicht Effizienz und Quantität sondern vielmehr die Qualität des Aufgeschriebenen entscheidend sein? Und dabei zeigt sich, dass handschriftliche Notizen und Aufzeichnungen, den digitalen überlegen sind, da wir bereits beim Aufschreiben eine Vorauswahl treffen und uns überlegen, was wir als wichtig erachten und aufschreiben wollen.4 Das Schreiben von Hand schließt also den Denkprozess gleich mit ein.

Wichtig ist es, sich darüber im Klaren zu sein, dass die beiden Schreibformen sich nicht ausschließen, und wir vielmehr „Hybridformen des Schreibens5“ entwickeln sollten. Am Anfang steht dabei das Inhaltliche, das Schreiben von Hand: Notizen machen, Verknüpfungen herstellen, konzeptualisieren. Das Strukturgebende, der Feinschliff kommen danach und findet an der Tastatur statt.

Zum Weiterlesen:

  • Beck, Henning 2020: Das neue Lernen heißt Verstehen. Berlin: Ullstein Verlag.
  • Dörrie, Doris 2019: Lesen, Schreiben, Atmen. Eine Einladung zum Schreiben. Zürich: Diogenes.
  • Stein, Peter 2010: Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens. 2. Auflage. Darmstadt: WBG.

1Stein, Peter 2010: Schriftkultur. Eine Geschichte des Schreibens und Lesens. 2. Auflage. Darmstadt: WBG, S. 23-24. 

2Stein, Peter 2010, S. 23.

3Schulze Brüning, Maria Anna: Handschrift – Schreibschrift. Zugriff am 08.05.2020 unter: https://www.handschrift-schreibschrift.de/

4Mueller, Pam A./Oppenheimer, Daniel M. 2014: The Pen is Mightier than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking. In: Psychological Science, 25 (6), S. 1159-1168.

5Schmermund, Kathrin 2020: Interview mit Henning Beck 2020: Warum wir wieder mehr mit der Hand schreiben sollten. In: Forschung und Lehre. Zugriff am 08.05.2020 unter https://www.forschung-und-lehre.de/warum-wir-wieder-mehr-mit-der-hand-schreiben-sollten-2504/